Bezüglich des Studiums gilt das Gleiche wie in allen Bereichen des Lebens: Behindert ist man nicht, behindert wird man. Zwar sind die Hochschulen und Universitäten dazu angehalten, den Studienalltag für Menschen mit Beeinträchtigungen so „normal“ wie möglich zu gestalten. Aber „normal“ bedeutet in der Praxis eben doch oft, dass man Umwege in Kauf nehmen, für Rollstühle zu enge Aufzüge bewältigen und um jeden Nachteilsausgleich kämpfen muss.
Trotzdem raten wir dringend dazu, deshalb nicht von einem Studium abzusehen! Die Mühen lohnen sich erstens, zweitens hat keine Institution der Welt das Recht, Dein Leben einzuschränken und deine Interessen unmöglich zu machen. Und drittens wird sich die Einstellung der Menschen und damit die Ausstattung der Hochschulen und Universitäten nur ändern, wenn die gesamte Vielfalt des menschlichen Seins im Alltag sichtbar ist.
Selbstverständlich hast Du auch das Recht, Dich nicht mit den Unwägbarkeiten einer Campus-Universität herumzuschlagen und stattdessen ein Fernstudium zu absolvieren. Auf die Vor- und Nachteile gehen wir noch ein, jetzt geht es erst einmal um Deine Möglichkeiten.
Key Facts: Das solltest Du wissen, wenn Du mit Beeinträchtigung studieren willst!
- Studieren „mit Behinderung“ meint nicht zwangsläufig eine sichtbare körperliche Behinderung, sondern auch chronische körperliche Erkrankungen, Legasthenie und Dyskalkulie, Bewegungsbeeinträchtigungen, psychische Erkrankungen sowie Seh-, Hör- und Sprechbeeinträchtigungen werden dazu gezählt.
- Information und Beratung gibt es kostenlos für alle Betroffenen bei der Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (kurz IBS), die das Deutsche Studentenwerk unterhält. Dort bekommst Du auch das kostenlose Handbuch „Studium und Behinderung“.
- Jeder Mensch hat ein Recht darauf, frei von Diskriminierung und dazu noch chancengleich zu studieren. Dieses Recht ist in der UN-Behindertenrechtskonvention, im Grundgesetz, im Hochschulrahmengesetz und in den Landeshochschulgesetzen festgeschrieben.
- Deshalb haben Universitäten und Hochschulen auf ganzer Linie für Barrierefreiheit zu sorgen, und zwar sowohl hinsichtlich des Zugangs zu Gebäuden als auch bezüglich der Kommunikation und der Art der Lehre. Kann das nicht gewährleistet werden, müssen Nachteilsausgleiche gewährt werden.
- Gute Vorbereitung ist alles: Wer mit Beeinträchtigung studieren will, sollte sich die Wunschhochschule besonders gründlich ansehen und den Studienort kennenlernen.
- Hinsichtlich der Zulassung gilt das Gleiche wie für alle künftigen Studierenden: Die Zugangsvoraussetzungen (Abitur oder gleichgestellte Qualifikation) müssen erfüllt sein. Sind Studiengänge zulassungsbeschränkt (beispielsweise über einen NC), kannst Du schwerwiegende Auswirkungen Deiner Beeinträchtigung nachweisen und einen Härtefallantrag oder Anträge zum Nachteilsausgleich stellen.
- Ganz wichtig: Studienberatung wahrnehmen und viele Fragen stellen! Nur hier findest Du heraus, ob und wie Du barrierefrei studieren kannst. Findest Du keine für Dich akzeptable Möglichkeit, solltest du ein Fernstudium in Betracht ziehen.
Definition „Studierende mit Behinderung“ – wen betrifft das überhaupt?
Manche Beeinträchtigungen sind offensichtlich: Gehen Studierende mit Krücken oder sitzen im Rollstuhl, nutzen sie einen Blindenstock, ist das offensichtlich. Aber es gibt viele andere Formen von Beeinträchtigungen, die nicht so offensichtlich sind. Die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks hat ergeben, dass 11 Prozent aller Studierenden aufgrund von körperlichen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen unter erschwerten Bedingungen studieren (vgl. hier). Diese erschwerten Bedingungen ergeben sich aus:
- Beeinträchtigungen der Mobilität
- Beeinträchtigungen der Sicht (Erfahrungen von blinden Studierenden: https://www.youtube.com/watch?v=HLvxekA1_7M)
- Beeinträchtigungen des Hörens
- Beeinträchtigungen im sprachlichen Ausdruck
- psychischen Erkrankungen wie beispielsweise Essstörungen oder Depressionen
- chronischen Erkrankungen wie beispielsweise Rheuma, Morbus Crohn oder Diabetes (Podcast Studieren bei MS: https://www.youtube.com/watch?v=w8Qw3QkXUH4)
- Legasthenie, Dyskalkulie und anderen Teilleistungsstörungen (Erfahrungen von Studierenden mit Legasthenie: https://www.youtube.com/watch?v=viliQHxr3o4)
- Störungen im Autismus-Spektrum
- ADS und ADHS
Nur bei 4 Prozent der Studierenden sind die Beeinträchtigungen offensichtlich, und zwei Drittel der Behinderungen bleiben an den Hochschulen komplett unbemerkt, sofern die betroffenen Studierenden nicht selbst darauf verweisen. Viele Studierende verzichten also auf Beratung und Rechte, weil sie sich nicht „behindert“ fühlen (wollen), obwohl sie nach rechtlicher Definition durchaus Ausgleiche erhalten sollten. Der Stempel „behindert“ schreckt immer noch ab, was für die Betroffenen erhebliche Nachteile hat. Dabei sind genau die hier gegebenen Definitionen von Behinderung in der UN-Behindertenrechtskonvention und im Sozialgesetzbuch 9. Buch festgeschrieben! Wie vielfältig eine Beeinträchtigung aussehen kann und welche Auswirkungen sie im Unialltag haben, hat der BR in einer Dokumentation festgehalten:
Warum sind Beratungen so wichtig?
Beratungen durch Beauftragte, Berater und Beraterinnen richten sich nicht nur an Studierende mit einer offensichtlichen Behinderung oder solche, die sich ihrer Beeinträchtigungen schon bewusst sind. Die Beratungen können auch klären, welche Studierende überhaupt unter die Definition „mit Behinderung“ fallen. Ein Schwerbehindertenausweis ist übrigens nicht unbedingt nötig, um studienbezogene Nachteilsausgleiche zu beantragen. Aber auch das wird im Rahmen einer Beratung geklärt. Diese Beratungen können sowohl hochschulbezogen als auch überregional und damit offen stattfinden. Sie werden von den studentischen Interessenvertretungen und den Sozialverbänden angeboten, aber auch von der IBS. Willst Du schon vor der Beratung tiefer ins Thema einsteigen, empfehlen wir Dir das Handbuch „Studium und Behinderung“, das du auf der Seite der Studentenwerke im Format .pdf herunterladen kannst. Einfach hier klicken, Du wirst weitergeleitet: https://www.studentenwerke.de/de/content/handbuch-studium-und-behinderung
Bewerbung und Zulassung
Sonderanträge sollen die Nachteile und Härten ausgleichen, die beeinträchtigte Studierende teilweise schon während der Schulzeit angesammelt haben. Schon im Zulassungsverfahren kann das wichtig sein. Berufliche Praxis und Auslandserfahrung sind bei einigen Studiengängen chancensteigernd – Studierende mit Beeinträchtigungen können diese aber oft nicht vorweisen. Ein weiterer Punkt ist die häufig geforderte Mobilität und inhaltliche Flexibilität: Studienbewerber/-innen mit Beeinträchtigungen können Wartezeiten auf einen Studienplatz oft nicht sinnvoll überbrücken. Längere Schulzeiten und fehlende Nachteilsausgleiche wirken zusammen mit schlechteren Abiturnoten weiter.
Über Sonderanträge können bestehende Nachteile ausgeglichen und Härten berücksichtigt werden. Auch für das Bewerbungsverfahren zu den Master-Studiengängen gibt es gesonderte Bestimmungen. Allerdings sind die Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen im aktuellen Studiensystem nicht ausreichend berücksichtigt worden, es gibt keine bundeseinheitlichen Regelungen. Ausnahmen:
- Humanmedizin
- Zahnmedizin
- Tiermedizin
- Pharmazie
Schwierigkeit Finanzierung: Nicht aus einer Hand möglich
Die Kosten für Studium und Lebensunterhalt sind schon für „normale“ Studierende schwer zu stemmen, wenn die Unterstützung nicht in ausreichender Weise von den Eltern kommt. Studierende mit Behinderungen und mit chronischen Krankheiten müssen sich zusätzlich noch darüber den Kopf zerbrechen, dass sie regelmäßig zusätzliche Kosten haben (situationsbedingt), manchmal für längere Zeit das Studium unterbrechen müssen und dazu auch noch länger studieren. Jobben ist meist nicht möglich, und finanzielle Rücklagen gibt es situationsbedingt ebenfalls nicht.
Es gibt keine Studienfinanzierung aus einer Hand. Die Finanzierung des Lebensunterhalts und eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs kann bei verschiedenen Kostenträgern beantragt werden. Dazu gehören die BAFöG-Ämter und die örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger, aber die Kranken- und Pflegekassen. Sogar Berufsgenossenschaften und Haftpflichtversicherungen können in Einzelfällen zu entsprechenden Zahlungen verpflichtet werden.
Mehrbedarf zum Lebensunterhalt und zum Studium
Kosten für Hygieneartikel und Therapien werden häufig von den Krankenkassen übernommen. Ist das nicht der Fall, können entsprechende Mehrbedarfe als eine Leistung von SGB II beim Jobcenter beantragt werden. Der beeinträchtigungsbedingte Mehrbedarf zum Studium dagegen wird nach SGB IX im Rahmen der Eingliederungshilfe beantragt. Hier geht es um die Kosten von technischen Hilfsmitteln, Studienassistenzen und Gebärdensprachdolmetschern. Einige Hilfsmittel können auch von den Krankenkassen finanziert werden.
Pflege und Assistenz
Beeinträchtigte Studierende sind in manchen Fällen auf Pflege und Assistenz angewiesen. Die Kosten werden über Leistungen der Pflegeversicherung gedeckt, meist aber nur teilweise. Hilfe zur Pflege kann auch nach SGB XII zusätzlich beantragt werden.
Ermäßigungen und Befreiungen nutzen!
Beeinträchtigte Studierende sind von verschiedenen Beiträgen und Gebühren befreit. Diese Befreiungen sollten auf jeden Fall in Anspruch genommen werden! Betroffen sind Krankenversicherung, Rundfunkbeiträge und Semesterbeiträge sowie Langzeitstudiengebühren neben anderen.
Finanzierung bei privaten Hochschulen
Die genannten Vergünstigungen und finanziellen Hilfen betreffen allesamt ein Studium an einer staatlichen Hochschule oder Universität. Wer an einer privaten Hochschule studiert, wird leider häufig alleingelassen. Die privaten Hochschulen finanzieren sich über Studiengebühren, die monatlich oder je Semester erhoben werden. Und dafür gibt es keine staatlichen Kostenträger. Die Hochschulen gewähren in der Regel keinen Nachlass für Studierende mit Beeinträchtigungen, weil das ihrem Finanzierungsmodell widersprechen würde. Besonders gemein: Die meisten Anbieter von Fernstudiengänge sind private Hochschulen und Institute!
Fernstudium oder Präsenzstudium bei Beeinträchtigung? Pro und Kontra
Was spricht nun für ein Präsenzstudium, was für ein Fernstudium bei bestehenden Beeinträchtigungen? Wir schauen uns zuerst das Präsenzstudium an:
Pro Präsenzstudium:
- ausführliche Beratung im Vorfeld
- Probestudium oft möglich
- Beantragung von Nachteilsausgleichen und Gewährung von besonderen Konditionen bezüglich Zulassung und Studium
- Gewährung von finanziellen Vergünstigungen
- Finanzierung von Mehrbedarf möglich
- abgesehen vom Semesterbeitrag keine Studiengebühren
Kontra Präsenzstudium:
- meist keine komplette Barrierfreiheit an den Hochschulen und Universitäten
- genaue Möglichkieten müssen vor Ort geklärt werden
- keine bundeseinheitliche Regelung bezüglich Zugang und Nachteilsausgleichen
- höherer Finanzierungsaufwand durch nötigen Umzug, eigene Wohnung am Studienort et cetera
Pro Fernstudium:
- kann von überall aus (auch Kinderzimmer bei den Eltern) absolviert werden
- keine Präsenzzeiten, daher einfache Abstimmung mit Therapiezeiten und Anpassung an eigene Befindlichkeiten
- Barrierefreiheit an der Hochschule spielt keine Rolle, weil die Präsenz wegfällt
- keine lange Vorbereitung mit Besichtigung der Hochschule und des Studienorts nötig
Kontra Fernstudium:
- in vielen Fällen keine hochschuleigene Beratung bezüglich eines Studiums mit Beeinträchtigungen
- höherer finanzieller Aufwand durch monatliche oder halbjährliche Studiengebühren
- keine finanziellen Vergünstigungen
- Nachteilsausgleiche und Härtefallregelungen obliegen den Hochschulen
Übrigens sind nicht alle Fernlerninstitute in privater Hand: Die Fernuni Hagen beispielsweise ist eine staatliche Hochschule, die sich nahezu ausschließlich auf Fernstudiengänge spezialisiert hat.
Fazit: Studieren mit Beeinträchtigungen ist kein Problem – wenn die Vorbereitung stimmt
Für Studierende mit Beeinträchtigungen ist eine längere Vorlaufzeit zur Vorbereitung wirklich wichtig. Denn steht das Studium finanziell wacklig, ist das extrem belastend. Umgekehrt kann auch eine nicht-barrierefreie Hochschule mit den entsprechenden Hindernissen zu starken Belastungen im Alltag führen. Generell ist ein Präsenzstudium zu befürworten, weil es die Unabhängigkeit von jungen Menschen stark fördert und die Universitäten und Hochschulen zwingt, die geforderte Chancengleichheit umzusetzen. Das passiert leider immer noch viel zu selten und meist unvollständig. Andererseits können die nötigen Hilfen im selbstständigen und fern des gewohnten Netzwerks so kostenintensiv und bedrückend werden, dass ein Fernstudium eine echte Erleichterung darstellt. Schau Dir die verlinkten Videos an. Sie zeigen Dir, wie andere Studierende den Alltag mit Beeinträchtigung erleben.
Uns ist natürlich bewusst, dass dieser Text auch nicht allen Anforderungen der Barrierefreiheit Genüge tut. Dafür bitten wir um Entschuldigung.
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